Geschichtliches

Anny und Karl Listle hatten nach Ihrer Heirat (siehe auch das 20. Jahrhundert) das Haus als Teil einer Erbengemeinschaft, nach dem Tod von Rosa Nersinger, mit den Mietern erworben, um in dem Anwesen den Wohnraum für ihre Familien-planung zu bekommen.

 

Als Kind und Jugendlicher war mir nicht so deutlich bewußt, welche Geschehnisse ein gutes Jahrzehnt vor meiner Geburt den Alltag bestimmten und was die Menschen, mit welchen ich in der Kazböckstrasse 12 aufgewachsen bin, hier erlebten.

 

Ein Keller des Anwesens wurde im 2. Weltkrieg zum Luftschutzkeller ertüchtigt, indem die Decke mit einem schweren Holzbalken gestützt wurde und eine schwere, von innen verriegelbare Türe montiert wurde. Hier in diesem Keller suchten die bis zu 25 Menschen die in diesem Anwesen wohnten Schutz, wenn die Sirenen heulten und ein Luftangriff bevorstand.

 

Beim Luftangriff vom 17.April 1942 war die MAN das Ziel, welche in einiger Entfernung zu Pfersee liegt. Beim Angriff vom 25. Februar 1944 war unter anderem der Hauptbahnhof das Ziel, welcher in nur ungefähr einem Kilometer Entfernung liegt. Die Folgen des Angriffs in dieser klaren Nacht waren für die Zivilbevölkerung und das historische Stadtzentrum verheerend. Da viele der Bomber das eigentliche Ziel der Industriestandorte in den Randgebieten verfehlten, wurde vor allem die historische Innenstadt zerstört. Bei diesen Bombardements starben 730 Menschen und 1.335 wurden verletzt. 85.000 Augsburger wurden obdachlos, fast ein Viertel aller Wohnungen war zerstört. Nach dem Angriff von 1944 verließ fast die Hälfte der Bevölkerung die Stadt.

 

Bei dem Angriff wurde der in nächster Nähe liegende Gasthof zum Goldenen Stern durch einen Volltreffer komplett zerstört. Das Dach des Anwesens Kazböckstrasse 12 wurde nur leicht beschädigt.

 

Gasthof Goldener Stern vor dem 2. Weltkrieg

(Blick auf Ecke Ohnsorg/Kazböckstrasse)

 

Die Schäden des Krieges waren in meiner KIndheit teilweise noch deutlich sichtbar.

 

Die Nachkriegszeit in Pfersee wurde auch bestimmt durch die enorme Präsenz der amerikanischen Truppen in Augsburg. Der Panzerkessel war für uns Jugendliche ein beliebtes Ziel mit dem Fahrrad.  Dort konnte man mit etwas Glück etwas Militärverpflegung der amerikanischen Soldaten ergattern, oder vielleicht ein paar Patronen. Gelegentlich sah man auch gepanzerte Fahrzeuge auf den grösseren Strassen in Pfersee.

 

Für mich in meiner Kindheit durch die Ängste meiner Eltern auch noch deutlich zu erleben war die erst 1959 abgeschaffte Wohnungszwangsbewirtschaftung: Eine direkte, für alle Bevölkerungsschichten spürbare Folge des Zweiten Weltkriegs bestand in der weitgehenden Zerstörung von Industrieanlagen, Infrastruktur und Wohnraum. Insbesondere durch die massiven Luftangriffe auf die deutschen Städte wurde es notwendig, etwa neun Millionen Obdachlose in ländliche Gebiete zu evakuieren.

 

Die faktische Annexion der bis dahin zu Deutschland gehörenden "Ostgebiete" durch die Sowjetunion und Polen führte zu zwölf Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen, die aus ihren Siedlungsgebieten in das spätere Staatsgebiet der Bundesrepublik kamen. Insgesamt suchten in den Monaten nach Kriegsende ungefähr 21 Millionen Menschen eine neue Bleibe. Der Zensus in den drei Westzonen 1946 wies die Zahl von 13,7 Millionen Haushalten und 8,2 Millionen Wohnungseinheiten nach. Mit anderen Worten: Es fehlten kriegs- und migrationsbedingt etwa 5,5 Millionen Wohnungen – eine gewaltige Zahl.

Unmittelbar nach Kriegsende beschlossen die Besatzungsmächte der drei Westzonen angesichts des gravierenden Wohnungsmangels kurzfristige gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Die nach Gründung der Bundesrepublik 1949 gebildete Bundesregierung schloss sich den Maßnahmen an und führte die Wohnungszwangs-bewirtschaftung ein. Diese bestand im Wesentlichen in einem faktischen Verbot der Kündigung von Bestandsmietern, staatlich festgelegten Mietniveaus und staatlicher Vergabe von in Privateigentum befindlichem Wohnraum an Wohnungssuchende. Mit diesen Maßnahmen stoppte die Bundesregierung zwar den befürchteten schnellen Anstieg der Mieten, doch das Problem der 5,5 Millionen fehlenden Wohnungen wurde dadurch nicht behoben.

 

Deshalb entschloss sich die Bundesregierung mit der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes 1950 zu einer massiven Intervention auf der Angebotsseite des Wohnungsmarkts. Im Rahmen dieses Gesetzes finanzierte der Bund innerhalb eines Jahrzehnts den Bau von insgesamt 3,3 Millionen Wohnungen. Zusätzliche 2,7 Millionen Wohnungen wurden durch private Investoren gebaut. Die große Wohnungsnot der frühen 1950er Jahre war damit zunächst gebannt.

 

Diese Zwangsbewirtschaftung wirkte sich auf Anny und Karl Listle in der Form aus, dass es Ihnen nicht so ohne weiteres möglich war in dem neu erworbenen Haus in der Kazböckstrasse 12 einzuziehen. Aus den unten ersichtlichen Dokumenten ist der damalige Schrfitverkehr mit den Behörden ersichtlich:

 

 

 

Als Folge dieser Zwangsbewirtschaftung wurde der ehemalige Keller der Viktualienhandlung bzw. späteren Kohlenhandlung umgebaut zu einer Wohnung. Die Mieter der Erdgeschosswohnung wurden durch Karl Listle in die Kellerwohnung umgesiedelt, damit er und seine Familie in ihr Eigentum einziehen konnten. Der obige Schriftwechsel mit dem Wohnungsamt zeigt die Schwierigkeiten im Umgang mit der Behörde.

 

Nachfolgend noch ein paar Bilder zu den Nachkriegsjahren in Augsburg / Pfersee.

 

Druckversion | Sitemap
© Wolfgang Listle